Language of document : ECLI:EU:C:1999:375

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)

8. Juli 1999 (1)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Richtlinie 91/157/EWG des Rates über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren — Mangelnde Ausarbeitung der in Artikel 6 der Richtlinie vorgesehenen Programme durch den Mitgliedstaat“

In der Rechtssache C-178/98

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Götz zur Hausen und Olivier Couvert-Castéra, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Klägerin,

gegen

Französische Republik, vertreten durch Kareen Rispal-Bellanger, Leiterin der Abteilung für internationales Wirtschaftsrecht und Gemeinschaftsrecht in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und Roman Nadal, stellvertretender Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/157/EWG des Rates vom 18. März 1991 über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren (ABl. L 78, S. 38) verstoßen hat, daß sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen und/oder mitgeteilt hat, um Artikel 6 dieser Richtlinie nachzukommen,

erläßt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter P. Jann, C. Gulmann (Berichterstatter), D. A. O. Edward und L. Sevón,

Generalanwalt: G. Cosmas


Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. März 1999,

folgendes

Urteil

1.
    Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 14. Mai 1998 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG (früher Artikel 169) Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/157/EWG des Rates vom 18. März 1991 über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren (ABl. L 78, S. 38; im folgenden: Richtlinie) verstoßen hat, daß sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen und/oder mitgeteilt hat, um Artikel 6 dieser Richtlinie nachzukommen.

2.
    Diese Richtlinie bezweckt nach Artikel 1 „die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Verwertung und die kontrollierte Beseitigung von Altbatterien und Altkummulatoren, die gefährliche Stoffe gemäß Anhang I enthalten.“

3.
    Artikel 6 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen Programme auf, mit denen folgende Ziele erreicht werden sollen:

—    Verringerung des Schwermetallgehalts von Batterien und Akkumulatoren,

—    Förderung des Angebots an Batterien und Akkumulatoren, die geringere Mengen an gefährlichen Stoffen und/oder umweltfreundlichere Stoffe enthalten,

—    schrittweise Verringerung der Zahl von unter Anhang I fallenden Altbatterien und Altakkumulatoren im Hausmüll,

—    Förderung der Forschung über die Möglichkeiten einer Verringerung des Gehalts der Batterien und Akkumulatoren an gefährlichen Stoffen und über die Verwendung umweltfreundlicherer Ersatzstoffe sowie über Verfahren für die Wiederverwertung,

—    gesonderte Beseitigung von unter Anhang I fallenden Altbatterien und Altkummulatoren.

Die Programme werden erstmalig für eine Laufzeit von vier Jahren aufgestellt, die am 18. März 1993 beginnt. Sie sind bis spätestens 17. September 1992 der Kommission vorzulegen.

Die Programme werden regelmäßig — mindestens einmal alle vier Jahre — insbesondere im Lichte des technischen Fortschritts sowie der Wirtschafts- und der Umweltsituation revidiert und aktualisiert. Die geänderten Programme sind der Kommission rechtzeitig mitzuteilen.“

4.
    Nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um der Richtlinie vor dem 18. September 1992 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich hiervon in Kenntnis.

5.
    Am 22. Dezember 1992 richtete die Kommission ein Schreiben an die französische Regierung, in dem sie diese an ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 der Richtlinie erinnerte und um Übersendung einer Kopie der in dieser Bestimmung genannten Programme bat. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

6.
    Am 3. Juli 1995 wies die Kommission die französische Regierung gemäß dem in Artikel 226 EG vorgesehenen Verfahren mit einem Mahnschreiben darauf hin, daß sie nach ihren Informationen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 der Richtlinie nicht erfüllt habe, und ersuchte sie, sich binnen zwei Monaten dazu zu äußern.

7.
    Die französische Regierung führte mit Schreiben vom 19. September 1995 aus, daß sich ein Dekret zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht in der

Ausarbeitung befinde und derzeit vom Conseil d'État geprüft werde. Am 9. April 1996 übermittelte sie der Kommission den Entwurf eines Dekrets und teilte ihr mit, daß die Programme im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie ausgearbeitet worden seien und binnen ein bis zwei Monaten unterzeichnet würden.

8.
    Da die Kommission keine weitere Information über diese Programme erhielt, richtete sie am 5. Mai 1997 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die französische Regierung, in der sie feststellte, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen verstoßen habe, daß sie die in Artikel 6 der Richtlinie genannten Programme nicht mitgeteilt habe, und sie aufforderte, dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten seit ihrer Zustellung nachzukommen.

9.
    Die Französische Republik teilte der Kommission mit Schreiben vom 12. Juni 1997 mit, daß der Entwurf eines Dekrets über das Inverkehrbringen und die Beseitigung von gefährliche Stoffe enthaltenden Batterien und Akkumulatoren dem Premierminister zur abschließenden Entscheidung vorliege und daß die Gesamtregelung voraussichtlich vor dem 1. Januar 1998 erlassen werde.

10.
    Am 12. Mai 1998 hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben, nachdem ihr keine weitere von der französischen Regierung getroffene Maßnahme zur Aufstellung der in Artikel 6 der Richtlinie vorgesehenen Programme zur Kenntnis gebracht worden war.

11.
    Die französische Regierung führt in ihrer Klagebeantwortung aus, die fünf in Artikel 6 der Richtlinie aufgeführten Ziele seien dank verschiedener Maßnahmen der nationalen Behörden erreicht worden oder würden gegenwärtig erreicht. Zwar hätten diese Maßnahmen nicht die Form von Programmen; da die Ziele des Artikels 6 der Richtlinie jedoch von diesen Maßnahmen umfaßt würden, sei die ihr vorgeworfene Vertragsverletzung rein formaler Natur.

12.
    Die französische Regierung nennt insoweit erstens eine Reihe von Maßnahmen, die in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsteilnehmern, namentlich den Herstellern von Batterien und Akkumulatoren, den Verbrauchern und den öffentlichen Körperschaften ergriffen worden seien. Sie verweist insbesondere auf ein von den französischen Herstellern aufgestelltes Programm zur Verringerung des Quecksilbergehalts, das von den Herstellern geforderte Verbot des Inverkehrbringens von Batterien mit Quecksilberoxid und von salinischen und Alkalibatterien mit zusätzlichem Quecksilber ab 1. Januar 1999, ein Projekt der Verlängerung der Lebensdauer bleihaltiger Batterien durch den Zusatz eines umweltfreundlichen Zusatzstoffs, eine von den Batterieherstellern eingeleitete Kampagne zur Angabe des Quecksilber- und Kadmiumgehalts auf den Batterien sowie Maßnahmen der Industrie, der Hersteller, der örtlichen Gebietskörperschaften und der Handelsunternehmen zum Einsammeln der Batterien und Akkumulatoren.

13.
    Sie führt zweitens aus, daß von 6 Millionen bleihaltigen Batterien 5,4 Millionen eingesammelt und wiederverwertet würden und daß im Jahr 1997 ungefähr 1 000 Tonnen nickel-kadmiumhaltiger und nickel-metall-hydridhaltiger Batterien und tragbarer Akkumulatoren behandelt worden seien, was eine Wiederverwertungsquote von ungefähr 4 % bis 5 % sei. Sie verweist außerdem auf die finanzielle Unterstützung der Agence de l'environnement et de la maîtrise de l'énergie (ADEME) für die Wiederverwertung der nickel-metall-hydridhaltigen Akkumulatoren und die Rückgewinnung der in den Rückständen von vernichteten Batterien noch vorhandenen 10 % bis 15 % Blei und die Wiederverwertung der sich daraus ergebenden nicht verschmutzten Polymere sowie für die Schaffung eines Wiederverwendungsverfahrens für Lithium-Batterien und -Akkumulatoren. Die ADEME habe Informationen über alle französischen Anlagen für die Wiederverwertung von Batterien und Akkumulatoren veröffentlicht.

14.
    Drittens hätten die Überlegungen einer Arbeitsgruppe, die 1992 geschaffen worden sei und an der Vertreter verschiedener Ministerien teilgenommen hätten, zur Schaffung einer Verwaltungseinrichtung für das Einsammeln und die Vernichtung von tragbaren Akkumulatoren geführt. Was die gesonderte Beseitigung der Altbatterien und Altakkumulatoren, die unter Anhang I der Richtlinie fielen, angehe, verfüge Frankreich bereits jetzt über ausreichende Einrichtungen für die Behandlung aller Altbatterien und Altakkumulatoren.

15.
    Die französische Regierung verweist abschließend auf die Rolle der ADEME, einer öffentlichen Einrichtung mit industriellem und kommerziellem Charakter, die unter der Aufsicht des Umweltministeriums stehe und an der Durchführung einer Vielzahl von Maßnahmen zur Erreichung der in Artikel 6 der Richtlinie festgesetzten Ziele teilgenommen habe.

16.
    Die Kommission widerspricht in ihrer Erwiderung der Auffassung der französischen Regierung, daß die beanstandete Vertragsverletzung rein formaler Natur sei. Die von dieser aufgeführten Maßnahmen seien zur Erfüllung der Verpflichtung, Programme im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie aufzustellen, nicht geeignet, da es sich mehrheitlich um Maßnahmen handele, die keine vom Mitgliedstaat aufgestellten oder zumindest koordinierten Programme seien, wie es der Wortlaut der genannten Bestimmung eindeutig verlange; vielmehr würden Ergebnisse von über ganz Frankreich verstreuten, unvollständigen und uneinheitlichen Maßnahmen genannt, die von Privatleuten oder Gebietskörperschaften ergriffen worden seien, so daß sie Programmen im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie nicht gleichgestellt werden könnten. Zudem enthielten diese Maßnahmen weder bezifferte quantitative Angaben, noch würden Daten für die Durchführung genannt.

17.
    Artikel 6 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, zur Erreichung der Ziele der Richtlinie Programme aufzustellen und diese regelmäßig zu revidieren und zu aktualisieren.

18.
    Aus dem Wortlaut des Artikels 6 und der allgemeinen Systematik der Richtlinie geht hervor, daß die verschiedenen Probleme, die sich aus Sonderabfällen wie Batterien und Akkumulatoren ergeben, nach einem genauen Zeitplan gelöst werden müssen.

19.
    Selbst wenn bestimmte Ergebnisse im Zusammenhang mit den Zielen der Richtlinie vor Ablauf der in dieser für die Durchführung der Programme festgesetzten Frist erreicht worden sind, entbindet dies einen Mitgliedstaat nicht von der Aufstellung der vorgesehenen Programme (vgl. Urteil vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache C-347/97, Kommission/Belgien, Slg. 1999, I-0000, Randnr. 18).

20.
    Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, genügen einzelne materielle Handlungen oder unvollständige Regelungen nicht zur Erfüllung der Verpflichtung eines Mitgliedstaats, Programme zur Erreichung der in Artikel 6 der Richtlinie festgelegten Ziele aufzustellen (vgl. Urteil vom 28. Mai 1998 in der Rechtssache C-298/97, Kommission/Spanien, Slg. 1998, I-3301, Randnr. 16).

21.
    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die Französische Republik, wie sie im übrigen in ihrer Klagebeantwortung einräumt, keine Programme im Zusammenhang mit den genannten Zielen aufgestellt hat.

22.
    Denn Maßnahmen, auf die sich die französische Regierung beruft, stellen keine Erfüllung der in Artikel 6 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Aufstellung von Programmen dar, da die Regierung nicht vorsieht, sie regelmäßig zu revidieren und zu aktualisieren; auch enthalten sie keinen genauen Zeitplan für diese Aktualisierung, die mindestens einmal alle vier Jahre insbesondere im Lichte des technischen Fortschritts sowie der Wirtschafts- und der Umweltsituation vorgenommen werden muß.

23.
    Zwar haben die französischen Behörden positive Maßnahmen im Zusammenhang mit den in Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie genannten Zielen getroffen, es handelt sich dabei jedoch nur um eine Reihe von Rechtsetzungsmaßnahmen oder punktuellen Aktionen, die nicht die Merkmale eines geordneten und gegliederten Systems von Zielen aufweisen, aufgrund deren sie als Programme im Sinne des Artikels 6 angesehen werden könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Belgien, Randnr. 23).

24.
    Deshalb ist festzustellen, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 der Richtlinie verstoßen hat, daß sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um dieser Bestimmung nachzukommen.

Kosten

25.
    Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Kommission entsprechend die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 der Richtlinie 91/157/EWG des Rates vom 18. März 1991 über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren verstoßen, daß sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um dieser Bestimmung nachzukommen.

2.    Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Puissochet
Jann
Gulmann

            Edward                Sevón

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 1999.

Der Kanzler

Der Präsident der Fünften Kammer

R. Grass

J.-P. Puissochet


1: Verfahrenssprache: Frannzösisch.